Sabine saß, wie so häufig, gerade am Frühstückstisch und schlürfte ihren Kaffee. Wie immer war es um diese Zeit ganz ruhig. Kein Straßenlärm, keine Hausgeräusche. Doch halt, da flog „Rumms“ die Tür der Nachbarswohnung zu. Schlurfende Schritte, leise tapsende Pfoten. Frau Wiedemann ging mir ihrem Hund Boris spazieren. Ohne auf die Uhr zu schauen, wusste Sabine wie spät es jetzt war: zehn vor sieben. Nicht ungefähr zehn vor sieben, nein wenn die Tür ins Schloss fiel war es Punkt 6:50 Uhr. Und genau zehn Minuten später wurde der Schlüssel im Schloss herumdreht, um die Tür wieder aufzusperren. Nicht ungefähr zehn Minuten später, sondern Punkt sieben Uhr. Montags wie Dienstags und jedem anderen Tag der Woche, ja sogar am Wochenende.
Warum kann sie nicht einfach mal ausschlafen?, fragte sich Sabine oft, aber Frau Wiedemann dachte nicht daran. Tagaus, tagein, 6:50 Uhr: „Wumm“, 7:00 Uhr: „Knirsch“.
Letzte Woche, letzten Monat, letztes Jahr und deshalb auch morgen und nächste Woche und bis in alle Ewigkeit.
Das ist doch krank! Sie wusste eigentlich nicht so genau, was sie daran störte. Im Grunde konnte ihr Frau Wiedemann egal sein. Sie kannte sie kaum, denn außer morgens mit Boris schien sie sich selten
mal aus der Wohnung zu bewegen. Eigentlich eine Ideal-Nachbarin, wenn man sein Büro zu Hause hatte. Eine, die man weder hörte noch sah. Außer morgens. Diese ominösen zehn Minuten.
Konnte der Hund nicht mal Verstopfung haben oder Durchfall oder am besten sogar beides zusammen? Solche Gedanken konnte Sabine kaum vor sich selber zugeben. Sie
schienen genauso albern, wie ihre neulich inszenierte Störaktion. Glücklicherweise ahnte niemand, dass es Absicht war, als sie eines Morgens mit freudiger Erregung, einen vermeintlich schweren
Müllsack genau um 6:49 Uhr aus der Tür wuchtete und dann die Treppe hinunter schleifte. Jeder Schritt eine Mühsal. Stöhnend und ächzend brauchte sie ganze drei Minuten bis zur Mülltonne. Denn zuvor
hatte sich dieser Sack doch tatsächlich noch in der Eingangstür verhakt. Natürlich hatte sie sich bei Frau Wiedemann entschuldigt, die geduldig hinter ihr die Treppe herunter gekommen war. Ebenso
geduldig wie Boris, der altersschwache Cockerspaniel. Frau Wiedemann nickte nur freundlich und ging an ihr vorbei.
Ha! Sabine rieb sich die Hände. Und nun Frau Wiedemann? Es ist bereits 6:55! Das schaffst du nie!
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